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Großes Interesse an BauGB-Änderungen und Städtebaurecht

Nachlese zu den Erfurter Baurechtstagen 2024

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Konnte vor Ort und online fast 200 Teilnehmende aus allen Teilen Deutschlands begrüßen: Prof. Dr.-Ing. Reinhold Zemke, Bild: AKT

Dank des stetig gestiegenen Zuspruchs fanden die Erfurter Baurechtstage als Fachtagung zu aktuellen Fragen des Bauplanungsrechts am 21. und 22. März 2024 bereits zum vierten Mal statt.

Die Veranstaltung wurde unter Leitung von Prof. Dr. Reinhold Zemke erstmals im Verbund der Architektenkammer Thüringen, der Stadt-Ökonomie-Recht GbR und der Forschungsstelle Städtebaurecht im Forschungskollektiv Peripherie und Zentrum der Fachhochschule Erfurt organisiert und durchgeführt.

Im Audimax der FH Erfurt und online zugeschaltet nahmen nahezu 200 vorwiegend praktisch orientierte Rechtsanwender*innen an der Veranstaltung teil. Zahlreiche ehemalige Studierende der Stadt- und Raumplanung nutzten die Veranstaltung für ein Treffen an alter Wirkungsstätte. Der Dank der Veranstalter geht an dieser Stelle auch an die Kooperationspartner, die Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung e. V., den Informationskreis für Raumplanung e. V. und an die Erfurt Tourismus und Marketing GmbH, die die Veranstaltung in ihren Netzwerken beworben hatten.

Nach dem Grußwort der Präsidentin der Architektenkammer Thüringen, Ines M. Jauck, stellte Prof. Dr. Andreas Decker vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig aktuelle Fälle zum Bauplanungsrecht vor. Im Mittelpunkt seiner Fallauswahl stand die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juli 2023 (4 CN 3.22), die § 13 b Baugesetzbuch – Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren – für unionsrechtswidrig erklärte. Die Probleme, die sich mit der Reaktion des Gesetzgebers hierauf verbinden, nämlich die Einführung eines neuen § 215 a Baugesetzbuch, wurden ebenfalls beleuchtet. Am Ende des zweiten Tages griff Prof. Dr. Reinhold Zemke diese in seinen Schlussbemerkungen nochmals auf und empfahl für die Heilung von Plänen, die im beschleunigten Verfahren nach § 13 b Baugesetzbuch aufgestellt wurden oder werden, regelmäßig die Umstellung auf das Regelverfahren der Bauleitplanung mit Umweltbericht.

Noch nicht bekannt sind die Inhalte der mit Spannung erwarteten BauGB-Novelle 2024. Umso interessanter waren die Ausführungen des für das Gesetzgebungsverfahren zuständigen Leiters der Unterabteilung Stadtentwicklungspolitik im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Dr. Jörg Wagner. Ausgerichtet am Leitbild Neue Leipzig Charta soll die sogenannte große BauGB-Novelle wieder zu einer integrierten Gesetzgebung im Städtebaurecht führen. Handlungsschwerpunkte werden voraussichtlich die Erleichterung des Wohnens, die weitere Förderung von Klimaschutz und Klimaanpassung sowie erneut Aspekte der Planungsbeschleunigung sein.

Der Wiederaufbau im Katastrophenfall und die Verordnungsermächtigung des 2023 neu gefassten § 246 c BauGB standen im Mittelpunkt des Vortrags von Dr. Martin Rumberg, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau. Weitere Themen waren die Abweichungen vom BauGB für temporäre Anlagen und für den katastrophenangepassten Wiederaufbau ohne vorlaufende Planverfahren sowie die Beschleunigung von Planverfahren für die katastrophenbedingte Umplanung und Neuausweisung von Baugebieten.

Nur wenige Beschleunigungspotenziale sah Dr. Tim Schwarz von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen im Gesetz zur Stärkung der Digitalisierung im Bauleitplanverfahren und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 3. Juli 2023. Die Online-Beteiligung sei im Hinblick auf das neu eingeführte digitale Regelverfahren bereits geübte Praxis und einzelne Verfahrensvorschriften, wie z. B. der Entfall der Wochenfrist vor dem Beginn der Beteiligung nach § 3 Abs. 2 Baugesetzbuch sowie der Entfall von Beteiligungserfordernissen bei bestimmten Änderungen, könnten beschleunigend wirken.

Helmuth von Nicolai vom Ministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Tourismus und Arbeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern sprach im Anschluss sehr eindringlich über die in der Praxis aufwändigen Instrumente Enteignung, städtebauliche Gebote und gemeindliche Vorkaufsrechte und stellte letztere in den Mittelpunkt seines Vortrags. Sein umfangreiches Skript zum Thema zielt dabei auf die Bedürfnisse eher kleinerer Städte und Gemeinden mit wenig juristischem Fachpersonal ab und enthält u. a. eine Checkliste, die den Umgang mit diesen Fragen erleichtern soll. Dessen ungeachtet läge es am Thema selbst und den hiermit verbundenen grundrechtlichen Anforderungen, dass es für Gemeinden ohne eigene, hochspezialisierte Rechtsabteilungen schwer sei, gemeindliches Vorkaufsrecht, Enteignung und städtebauliche Gebote erfolgreich zu exekutieren.

Am Ende des ersten Tages standen viele Kolleginnen und Kollegen noch bei einem Glas Wein zusammen und diskutierten angeregt weiter.

Den Nutzungskonflikt zwischen Klimaschutz und Denkmalschutz im innerörtlichen Kontext machte Prof. Dr. Bernhard Weyrauch von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg am Anfang des zweiten Tages an Dachflächenphotovoltaikanlagen auf denkmalgeschützten Gebäuden fest. Dabei stellte er auch auf die jüngere Rechtsprechung ab, nach der das neue in § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verankerte überragende öffentliche Interesse an der Förderung erneuerbarer Energien nur in atypischen Ausnahmefällen überwunden werden kann.

Auch wenn die inhaltlichen Anforderungen an den Umweltbericht nach Anlage 1 des Baugesetzbuchs auf Grund europarechtlicher Vorgaben bereits im Jahr 2017 deutlich erhöht worden sind, fehlten bislang empirische Befunde zu den Auswirkungen dieser Rechtsänderung. Diese Forschungslücke hat aktuell Francesco Tommasino von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen geschlossen und hierüber ausführlich berichtet.

Ein Dauerthema und Dauerproblem ist dagegen der Umgang mit planungs- und bauordnungsrechtlichen Fehlentwicklungen, die Dr. Werner Klinge vom Berliner Planungsbüro Plan und Praxis am Beispiel von Erholungsbauten erläuterte. Ein Hauptproblem seien dabei langjährig hingenommene Fehlentwicklungen in Erholungsgebieten und Kleingärten durch Gemeinde und Bauaufsicht. Am Ende müsse man wohl akzeptieren, dass es stadtentwicklungsplanerische Probleme gäbe, die zwar fachlich und rechtlich lösbar, aber gesellschaftlich nicht durchsetzungsfähig seien.

Kaum ein Thema greift jenseits der Siedlungsgrenzen der Städte und Gemeinden aktuell mehr in die Raumentwicklung ein als die massive rechtliche Privilegierung der erneuerbaren Energien, insbesondere der Windkraft. Vor dem Hintergrund des Wind-an-Land-Gesetzes erläuterte Rüdiger Kahl vom Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft zunächst die Rechtsentwicklung und am Ende die Wirkungen der Umstellung auf eine „Positivplanung“ im Sinne des § 249 BauGB.

Ein roter Faden, der sich durch die intensiven beiden Tage zog, war die durchgängige Vielzahl der Fragen und die Diskussionsfreude der Teilnehmenden zu den zum Teil sehr unterschiedlichen Themen, die sowohl aus dem Saal wie auch dem Online-Publikum kamen. Für die Zukunft sollen die technischen Rahmenbedingungen für das Zusammenspiel von Online- und Präsenz-Community weiter verbessert werden. Auch die für Rückfragen und Beiträge nach den Vorträgen zur Verfügung stehende Zeit wird vor der nächsten Veranstaltung noch einmal überprüft.

Dessen ungeachtet freuen sich die Veranstalter, dass die Evaluation der Tagung durch die Teilnehmenden durchweg positiv ausgefallen ist! 97 Prozent der online oder vor Ort Anwesenden bewerteten die Veranstaltung insgesamt mit „gut“ oder „sehr gut“. Allen voran haben dabei die Referenten überzeugt! Aber auch die Organisation der Veranstaltung, insbesondere das Anmeldeprozedere, die vorab bereitgestellten Informationen und die Betreuung vor Ort, die wesentlich Studierende der Stadt- und Raumplanung der FH Erfurt übernahmen, wurden gleichermaßen sehr gut oder gut bewertet.

Zentrale Anliegen der Erfurter Baurechtstage waren, sind und bleiben die Kommunikation von neuen Anforderungen im Bauplanungsrecht und die retrospektive Auseinandersetzung mit Anwendungserfahrungen zu zurückliegenden Rechtsänderungen. Solange der Gesetzgeber die Schlagzahl seiner Rechtsänderungen nicht verringert – was zu begrüßen wäre, aber grade in diesen Zeiten nicht absehbar ist – werden wir dieses Konzept auch nicht ändern.

Die nächsten Erfurter Baurechtstage finden voraussichtlich am 19. und 20. März 2026 an gewohnter Stätte, im Audimax der Fachhochschule Erfurt, statt.

Prof. Dr.-Ing. Reinhold Zemke

veröffentlicht am 22.04.2024 von Björn Radermacher · Rubrik(en): News, Fortbildungen

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